Geschichten aus dem wirklichen Leben oder nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

Sonntag, März 29, 2009

It's Blitz!

Was werden wir in naher Zukunft am meisten vermissen, wenn die Kunstform Pop in der Bedeutungslosigkeit verschwunden sein wird? Anders gefragt: Was ist das Schönste und Größte, was ein kleines Stückchen Musik erreichen kann?

Ist es der sehr körperliche Effekt des befreienden Auszuckens, ob auf einem Tanzboden, bei einem Konzert oder im nicht so stillen Kämmerchen zu Hause? Oder der frische Kick der Innovation, den gewisse musikalische Experimente vermitteln? Werden uns die Songs irgendwann am meisten abgehen, die existentielle Krisen verarbeiten, oder laszive Sounds, die ungeniert auf untere Körperregionen abzielen?

Ich für meinen Teil brauche das schon alles, die schweißtreibende Katharsis, den formalen Überraschungsfaktor, die Auseinandersetzung mit den ganz schweren Dingen und auch leichtfüßige Sexiness.

Aber vor allem, und da sind wir bei der Königskategorie des Pop, muss mir ein bester Song der Welt von einer bestimmten unstillbaren Sehnsucht erzählen.


Ich kann dieses Gefühl nur diffus beschreiben, das schwer auf dein Herz drückt und dich gleichzeitig in einen euphorischen Schwindel versetzt, das dich deine ganz grundsätzliche menschliche Einsamkeit spüren lässt und dich doch raustreibt zu anderen, in die Arme von anderen. "Is This Desire?" hat PJ Harvey mal ein Album genannt und Blixa Bargeld hat von der Sehnsucht als einzig wahrer Energie gesungen.

Sehnsucht heißt nicht jammern, leiden, die Vorhänge zuziehen. Sondern fiebern, zittern, vor Angst und Freude, vor Lebensgier.

Fragt die Kings of Leon, New Order, Johnny Cash, Arcade Fire. Lasst einfach "Heroes" von Herrn Bowie, den seit vielen Dekaden führenden Sehnsuchtsevergreen, in Dauerrotation laufen.

Oder hört euch wieder einmal ein Stück an, das unlängst vom britischen "New Musical Express" zum besten Lovesong aller Zeiten gewählt wurde, vor Klassikern von The Smiths und Joy Division. Ich rede von "Maps", der unglaublichen Sehnsuchts-Hymne, die inmitten von räudigen Garagenrock-Knallern auf dem Debütalbum der Yeah Yeah Yeahs für Gänsehaut sorgte.

Sechs Jahre sind vergangen, seit "Fever To Tell" zurecht als Initialzündung für einen wilden 21.-Jahrhundert-Rock'n'Roll gefeiert wurde, der gleichzeitig lärmig, aggressiv, aufwühlend und glamourös sein konnte und dank "Maps" eben auch wunderbar melancholisch. Auch der Nachfolger "Show Your Bones", der das Yeah Yeah Yeahs-Spektrum um Grunge- und Folkzitate erweiterte, ist schon ein längeres Weilchen her.

Nun gibt es endlich neuen Stoff für alle Yeah Yeah Yeahs-Süchtigen, zu denen ich mich uneingeschränkt zähle. Und das Warten hat sich gelohnt. "It's Blitz!" ist gleich ein ganzes Sehnsuchtsalbum geworden, eine Platte als beste(r) Freund(in), ein Begleiter für nächtliche Spaziergänge und einsame U-Bahnfahrten, ein Heilmittel für den Augenblick, wo der Sonntagsblues dein Zimmer wie Rauchschwaden vernebelt.


Das plakativste Statement zu "It's Blitz!" könnte lauten: Die Yeah Yeah Yeahs haben die Zeit seit "Show Your Bones" in der Disco verbracht. Extrem tanzbar kommt die Single "Zero" daher, inklusive offener Hi-Hats und Referenzen an Sägezahn-Electro. In "Heads Will Roll" fordert die große Karen O gleich "Off with your head, dance until you're dead", während Gitarrist Nick Zinner seine Klampfe ruhen lässt und stattdessen alte Analogsynthies malträtiert.


Dabei, und das macht der überwiegende Rest dieses Albums auch deutlich hörbar klar, stürzten sich Madame O, Herr Zinner und Herr Chase während der Arbeit an ihren Songs gar nicht ins flirrende Nachtleben.

Die Yeah Yeah Yeahs, so etwas wie der Prototyp der urbanen Band, flüchteten sich stattdessen aufs Land, in die Natur, in die absolute Einöde. Auf isolierten Farmen in Massachusetts und Texas, von verschneiten Landschaften umgeben, entstand der Kern der Platte. Es wurde wochenlang gejammt, ausprobiert, Chemien wurden erneuert, Leidenschaften erhitzt.

Erst zum Postproduktions-Finale versammelten sich Karen und ihre Buben wieder im heimatlichen Williamsburg, im Studio der befreundeten Brooklyn-Legende Dave Sitek. Da schaute dessen TV-On-The-Radio-Kumpel Tunde Adebimpe dann auch schon mal auf einen Gesangseinsatz vorbei.


Die völlige Abgeschiedenheit, weit weg vom aktuellen Brooklyn-Hype-Gewimmel rund um MGMT, Telepathe oder Chairlift, hat den Yeah Yeah Yeahs gut getan.

Weiß man um die ländlichen Produktionsbedingungen, dann bildet man sich ein, dass draußen vor dem Fenster weiße Pferde durch den Schnee reiten, während man unbeschreiblich schöne Zeitlupen-Songs wie "Skeletons" hört. "Love left dry, frost or flame, skeleton me, fall asleep" klagt Karen da zu Nick Zinners flirrenden Mandolinen-Gitarren.

Ach ja, das Problem mit dem Saiteninstrument. Wie auf Knopfdruck reagierten die einschlägigen Blog-Deppen, als das Gerücht kursierte, dass "It's Blitz!" sich noch weiter weg vom ungestümen Rock'n'Roll der Anfangstage weg bewegen würde. Von angepasstem Pop war in den Foren die Rede, von Ausverkauf, Anpassung und dem ganzen vorhersehbaren Blablabla.

"Please no guitars, Nick!" hatte Karen O tatsächlich als Motto am Anfang der Sessions ausgegeben. Aber nicht, um jetzt plötzlich und verspätet einen auf Electro-Rambazamba zu machen. Sondern einfach, um alte Muster aufzubrechen, andere Wege einzuschlagen, wieder Aufregung und Adrenalin zu spüren, wie eine Band, die zum ersten Mal ins Studio geht.


Das Experiment ist gelungen. Und wie. Und natürlich hört man auch Gitarren im fertigen Mix. Aber eben keine Knopfdruck-Schema-F-Gitarren wie bei der austauschbaren Hasi & Mausi-Rockercombo von nebenan. Und du hörst auch viele alte und neue Maschinen, tolle Effekte, fantastische Drumeinfälle und mittendrin und überdrüber the one and only Karen O natürlich.

"It's the time, it's the place, don't leave me", singt sie auf dem vielleicht schönsten Stück "Soft Shock", es geht um den Moment, der unwiederholbar ist, um die Wehmut unter der Spiegelkugel. Heute blitzt es grell, morgen ist alles vorbei.

Es geht um Bier, Schweiß, Blut, der alte Rock'n'Roll ist eh noch da, ihr schnöden Blogger, aber vor allem rinnt da viel Tränenflüssigkeit die Wangen runter. Die Yeah Yeah Yeahs 2009 lassen dich weinen, vor Freude und Angst, vor Lebensgier.

It's about Sehnsucht.

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